Ausschnitt aus „Zumutung Anthroposophie“
Er gründete die „Christengemeinschaft“, hielt Vorträge über das Christentum, die Evangelien. Welche Rolle aber spielte das Judentum im Leben Rudolf Steiners? Manche bezeichnen Steiner selbst als Antisemiten, andere verweisen auf seinen Einsatz gegen den Antisemitismus. Wolfgang Müller versucht einen Überblick über die verschiedenen Berührungen Steiners mit dem Judentum zu geben.
Frühe Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus
Verfolgt man quasi stichprobenartig, das Thema Judentum durch Steiners Leben, zeigt sich eine erstaunlich klare Linie. Schon der junge Steiner hatte sich, wie neuere Forschungen zeigen, mit Literatur zum Thema eingedeckt.1„So sind dazu in seiner Bibliothek folgende Bücher aus jener Zeit erhalten: Isidor Singer, Berlin, Wien und der Antisemitismus, Wien 1882 (RSB G 821); E. Hübsch, Wer trägt die Schuld an der Antisemiten-Bewegung? Berlin, 2. Aufl. 1886 (RSG G 375); [Kerry, Benno Bertram], Die wahre Erlösung vom Antisemitismus, Leipzig 1883 (RSB T 353).“ (Martina Maria Sam: Rudolf Steiner. Kindheit und Jugend 1861 – 1884, Dornach 2018, S. 315.) Offenbar studierte er auch sofort das 1881 erschienene Buch eines antisemitischen Vordenkers, des Philosophen Eugen Dühring Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Das Urteil des Zwanzigjährigen ist ebenso spontan wie vernichtend. Dührings Anschauungen seien, schreibt er in einem Brief, „barbarisch und culturfeindlich, zuweilen sogar roh. Seine Schriften über die Juden und über Lessing sind die strengsten Consequenzen seiner beschränkten, egoistischen Philosophie. Damit ist genug gesagt.“2Juli 1881: Rudolf Steiner – GA 38, 3. Aufl., S. 21.
Zwanzig Jahre später treffen wir denselben Steiner im Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Für dessen Mitteilungen und auch für das von ihm selbst redigierte Magazin für Litteratur schreibt er 1900/01 eine ganze Serie an Artikeln zum Thema. Sie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Ob einer Jude war oder nicht: das war mir immer ganz gleichgültig.“ Antisemitismus deute auf „mangelhaftes ethisches Urteilsvermögen“ hin.3September 1900: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl. 3, S. 379 Und grundsätzlicher:
„Der Kulturhistoriker der letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts – ob auch der ersten des zwanzigsten? – wird zu untersuchen haben, wie es möglich war, dass im Zeitalter des naturwissenschaftlichen Denkens eine Strömung entstehen konnte, die jeder gesunden Vorstellungsart ins Gesicht schlägt. Wir, die wir mitten in den Kämpfen leben und gelebt haben: wir können nur mit Schaudern Revue halten über eine Anzahl von Erfahrungen, die uns der Antisemitismus bereitet hat.„
1900: Rudolf Steiner: Ahasver. In: Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, GA31 S.379. 3. Aufl. 1989 (Zuerst erschienen in: Magazin für Literatur, 69. Jg., Nr. 35, 1. September 1900)
Rudolf Steiner als Zielscheibe antisemitischer Angriffe
Wiederum zwanzig Jahre später findet sich Steiner in der kuriosen Lage vor, selbst immer wieder als verkappter Jude bezeichnet zu werden. Einer der Angriffe kam 1920 von einem Göttinger Professor, der Steiner durch eine solche Zuschreibung zu diskreditieren versuchte. Dessen Verteidigung war immer völlig souverän. Er ließ sich überhaupt nicht auf das Niveau der Gegner ein, indem er etwa erklärt hätte, kein Jude sein zu wollen. Vielmehr: „Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich selbst keinen Wert auf meine Abstammung von diesem Gesichtspunkt aus lege.“4Juli 1920: Rudolf Steiner – GA 24 Aufl. 2, S. 459 f. Nur entspreche es eben (angesichts seines katholischen Hintergrunds) nicht den Tatsachen und stelle der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit jenes Professors ein schlechtes Zeugnis aus.
Steiners Vorbehalte gegen den Zionismus
Diese Eindeutige Linie war indes nicht zu verwechseln mit einem diffusen, gedankenlosen Philosemitismus. Das zeigt sich besonders scharf in Steiners Position zum Zionismus. Dessen zentrale Gestalt, Theodor Herzl, war praktisch gleich alt wie Steiner. 1896 veröffentlichte Herzl seine Schrift Der Judenstaat, in der er seine Vorstellung eines eigenständigen jüdischen Nationalstaates skizzierte.51896: Theodor Herzl – Der Judenstaat, https://www.perlentaucher.de/buch/theodor-herzl/der-judenstaat.html Schon im folgenden Jahr nahm diese Idee auf dem 1. Zionistischen Weltkongress in Basel konkrete Gestalt an. Steiner reagierte darauf mit einem kritischen Artikel über Die Sehnsucht der Juden nach Palästina. Sein Einwand:
„Sie wenden ihr Auge ab von den großen Fortschritten, welche die Emanzipation der Juden in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, und sehen nur, dass sie noch von so und so vielen Stellen ausgeschlossen, in so und so vielen Rechten verkürzt sind …“
25. September 1897: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl., 3 S. 197
Ein zukunftsweisender Weg, so Steiner, liege nicht im Ausweichen in eine eigene Staatsbildung, sondern in einem gleichberechtigten Zusammenleben innerhalb der bestehenden Staaten. Im Hintergrund spielte zweifellos schon damals ein Gedanke eine Rolle, den Steiner später in aller Klarheit formulierte: dass politische, staatliche Formen nicht an Fragen der Abstammung oder religiöser Zugehörigkeit gekoppelt werden dürften (ein Grundgedanke der Dreigliederung, siehe Kapitel 10). Genau dies aber war der Kern des Zionismus. Entsprechend sah Steiner in ihm einen fragwürdigen, rückwärtsgewandten Ansatz. Einem jungen Zionisten erwiderte er:
„Solch eine Sache ist heute gar nicht zeitgemäß; denn heute ist dasjenige zeitgemäß, dem jeder Mensch, ohne Unterschied von Rasse und Volk und Klasse und so weiter sich anschließen kann.“
8. Mai 1924: Rudolf Steiner – GA 353, Aufl. 3, S. 202
Steiners Position – bürgerliche Gleichstellung statt separater nationaler Bestrebungen – wurde bekanntlich von vielen Juden geteilt, und sie war auch in den innerjüdischen Debatten die entscheidende Gegenposition zum Zionismus. Das lässt sich bis in die Hitlerzeit verfolgen. Victor Klemperer etwa, der als Professor in Dresden den übelsten antisemitischen Schikanen ausgesetzt war, konnte dennoch seinen Widerwillen gegen den Zionismus nicht überwinden, in dessen ethnisch-religiöser Ausrichtung er eine „Blutschnüffelei“, ein „Zurückschrauben der Welt“ sah. Noch 1934 notierte er in sein später berühmt gewordenes Tagebuch: „Mir sind die Zionisten, die an den jüdischen Staat von anno 90 p. C. (Zerstörung Jerusalems durch Titus) anknüpfen, genauso ekelhaft wie die Nazis.“6Juni 1934: Victor Klemperer Tagebucheintrag. Aus: B. Biebuyck „Ich will Zeugnis ablegen, und exaktes Zeugnis“ S. 38, https://silo.tips/download/ich-will-zeugnis-ablegen-und-exaktes-zeugnis
Nach dem Holocaust mag man diese Dinge auch unter anderen Gesichtspunkten sehen. Grundsätzlich aber ist die Auffassung, dass eine politische Ordnung der Welt nach völkisch-konfessionellen Unterschieden überholt ist und fast zwangsläufig zur Unterdrückung oder Vertreibung von Minderheiten führen muss, sehr gut begründet und historisch hundertfach bewiesen. Insofern lässt sich auch der Antizionismus, gleich ob von nichtjüdischer oder jüdischer Seite, als Ausdruck einer legitimen, aufgeklärten politischen Haltung verstehen. Ihn mit Antisemitismus zu verwechseln, zeigt eine Unfähigkeit zu klarem Denken.
Scharfe Worte in jungen Jahren
Allerdings, ein Aspekt, der in den heutigen Diskussionen um Steiner immer wieder eine Rolle spielt, ist zu ergänzen. Steiner hielt nicht nur nationale Sonderbestrebungen wie den Zionismus für problematisch, er wandte sich auch gegen eine gruppenhafte Abschließung innerhalb der jeweiligen Gesellschaft, wie sie etwa in der verbreiteten Forderung zum Ausdruck kam, möglichst innerhalb der eigenen Gemeinschaft zu heiraten. Anders gesagt: Er befürwortete eine Assimilation. In einem Artikel des jungen Steiner mündete dies in der Tat in drastische Formulierungen. Es war die Besprechung eines Werkes des damals vielgelesenen Robert Hamerling, des satirischen Epos Homunkulus, das in einer Episode die jüdische Thematik berührte. In diesem Kontext nun schrieb der 27-Jährige Sätze, die von heutigen Steiner-Kritikern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zitiert werden:
„Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise. … Juden, die sich in den abendländischen Kulturprozess eingelebt haben, sollten doch am besten die Fehler einsehen, die ein aus dem grauen Altertum in die Neuzeit hereinverpflanztes und hier ganz unbrauchbares sittliches Ideal hat. Den Juden selbst muss ja zuallererst die Erkenntnis aufleuchten, dass alle ihre Sonderbestrebungen aufgesogen werden müssen durch den Geist der modernen Zeit.“
April 1888: Rudolf Steiner – GA 32 Aufl. 4, S. 168
Auch dies war im Kern eine Position, die vielfach in der innerjüdischen Debatte vertreten wurde. Dennoch konnte sie, aus dem Mund eines nichtjüdischen Autors, den Verdacht der Judenfeindschaft wecken. Und weckte ihn auch wirklich: Noch im Alter, in seinem Lebensrückblick, schildert Steiner, wie betroffen Ladislaus Specht, in dessen Familie er als Hauslehrer arbeitete, auf diese Zeilen reagierte.71925: Rudolf Steiner – Mein Lebensgang, GA 28 Aufl. 9, S. 193
In Steiners Selbstverständnis war hier nur etwas ausgesprochen, das eben eine Grundtendenz der Menschheitsentwicklung sei: das Herauswachsen aus tradierten, abstammungsmäßigen „Sonderbestrebungen“ hin zu freien, offenen Gemeinschaftsbildungen. Ähnlich drastisch hatte er sich im Übrigen zur gleichen Zeit auch in Richtung der kirchlichen Traditionen geäußert: „die Offenbarungsreligionen“, so seine radikale Formulierung, hätten „abgewirtschaftet“.8„Es ist allein des Menschen würdig, daß er selbst die Wahrheit suche, daß ihn weder Erfahrung noch Offenbarung leite. Wenn das einmal durchgreifend erkannt sein wird, dann haben die Offenbarungsreligionen abgewirtschaftet. Der Mensch wird dann gar nicht mehr wollen, daß sich Gott ihm offenbare oder Segen spende. Er wird durch eigenes Denken erkennen, durch eigene Kraft sein Glück begründen wollen.“ 1887: Rudolf Steiner – GA 1 Aufl. 4, S. 125 – Missverständlich blieb die Wendung vom „Geist des Judentums“, die durchaus in antisemitische Raster passen konnte. Dass sie bei Steiner jedenfalls nicht so zu decodieren war, wurde spätestens deutlich, als er kurz nach der zitierten Passage scharf die Antisemiten angriff, als die Partei, „die neben der Eignung zum Toben und Lärmen nichts Charakteristisches hat als den gänzlichen Mangel jedes Gedankens“.9April 1888: Rudolf Steiner – GA 32 Aufl. 4, S. 170
An dieser Stelle darf man einen verwunderten Seitenblick auf die Steiner-Kritik werfen, die dieses zweite Zitat, das zur Einordnung der Sache unentbehrlich ist, praktisch durchweg verschweigt. Auch der weithin als Steiner-Experte geltende Historiker und Theologe Helmut Zander bringt es fertig, mehr als drei Seiten über die Homunkulus-Episode zu schreiben, ohne Steiners Attacke gegen die Antisemiten zu erwähnen.10München 2011: Helmut Zander – Rudolf Steiner. Die Biografie, S. 73ff Lässt er es bewusst weg? Oder hat er den Artikel gar nicht ganz gelesen und kolportiert nur die bekannte „Stelle“?
Die Verteidigung von Alfred Dreyfus
Wie klar und geradezu unerschütterlich Steiners universalistische und humanistische Haltung war, zeigte sich gleichsam in einem anderen historischen Test: während der Dreyfus-Affäre. In dieser ungeheuren, ganz Frankreich und halb Europa über Jahre aufwühlenden Affäre ging es vordergründig nur um einen einzelnen Menschen, den französischen Offizier Alfred Dreyfus, der beschuldigt wurde, militärische Geheimnisse an Deutschland verraten zu haben. Von Beginn an aber wurde eine grundsätzlichere Frage mitverhandelt: die, ob ein jüdischer Angeklagter angesichts antisemitischer Massenstimmungen ein faires Verfahren bekommen würde. Steiner: „Trocken und nüchtern will ich sagen, was ich meine: Ich habe den Kapitän Dreyfus immer für unschuldig gehalten.“11Dezember 1897: Rudolf Steiner – GA 31 Aufl. 3, S. 221
Das war zu diesem Zeitpunkt, 1897, eine äußerst ungewöhnliche Aussage. Ein Großteil der französischen Presse hatte den elsässischen Hauptmann längst vorverurteilt, die deutschen Intellektuellen wanden sich. Einer der prominentesten, Maximilian Harden, gab zum Besten, die französischen Juden hätten, indem sie Dreyfus verteidigten, die Antisemiten erst aufgestachelt. Und der bis heute vielgerühmte Karl Kraus fand die ganze Sache überbewertet und fragte sich, wie „für oder gegen die Schuld eines unbedeutenden Menschen“ eine solche „Agitation“ entfesselt werden konnte.
Steiner war einer der wenigen, die erfassten, dass dieses Einzelschicksal, ,,die Behandlung des Hauptmanns, der auf der Teufelsinsel schmachtet“12Dezember 1897: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl. 3, S. 224, tatsächlich die ganze Welt anging, dass hier etwas Exemplarisches durchgefochten wurde. Dem Argument, man möge sich nicht in die politischen Angelegenheiten der Nachbarn einmischen, stellte er den schlichten Satz entgegen: „Über aller Staatsnotwendigkeit steht die Menschlichkeit, der ihr Recht werden muss.“ Als schließlich, endlich, Emile Zola das Wort ergriff und seine glühende Anklage gegen die französische Justiz formulierte, war Steiner erneut zur Stelle: „Zolas Persönlichkeit scheint mit jedem Tage vor uns zu wachsen. Es ist, als lernten wir ihn erst jetzt ganz verstehen.“13Februar 1898: Rudolf Steiner – „Emile Zola an die Jugend“, GA 31, Aufl. 3, S. 225 Zola musste für sein J’accuse! Vorrübergehend ins Exil gehen, Dreyfus wurde erst 1906, nachdem seine Unschuld längst erwiesen war, rehabilitiert.
Vielleicht war es kein Zufall, dass Steiner die Hintergründe der Dreyfus-Verurteilung so früh durchschaute, die eben nicht nur eine Rechtsbeugung war, sondern Ausdruck einer tieferen kulturellen Verschiebung, man könnte sagen, einer Beugung des klaren Denkens und der Urteilskraft. Genau dieses Phänomen hatte nämlich Steiner als Student in Wien in seiner Umgebung selbst beobachtet, als in den l880er-Jahren die erste große Welle des modernen Antisemitismus durch Europa ging; und eben gerade nicht in Form einer bewussten weltanschaulichen Neuorientierung, sondern quasi subkutan. Steiner schilderte dies 1901 in einem Artikel unter dem Titel Verschämter Antisemitismus:
„Keiner der eben ins antisemitische Lager Übergegangenen wagte es, gegen seine ehemaligen liberalen Grundsätze im Ernste etwas vorzubringen. Jeder behauptete vielmehr: im Wesen bekenne er sich nachher wie vorher zu diesen Grundsätzen, was aber die Anwendung dieser Grundsätze auf die Juden betreffe, ja … Und nun folgte eben irgendeine Phrase, die jedem gesunden Denken ins Gesicht schlug. Durch den Antisemitismus ist die Logik entthront worden.“
November 1901: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl. 3, S. 404
Man wird kaum irgendwo aus jenen Jahren eine atmosphärisch so dichte Beschreibung der mentalen Korrumpierung finden, die überhaupt erst den Boden für das bereitete, was Jahrzehnte später die mörderische Dynamik des Nationalsozialismus ermöglichte. – Steiner war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Allerdings – auch dies gehört ins Bild – auch die von ihm gegründete Anthroposophische Gesellschaft lavierte ohne klare Haltung in die Hitler-Jahre hinein. Die zahlreichen jüdischen Mitglieder gerieten unter extremen Druck, der Vorsitzende der deutschen Landesgesellschaft Hans Büchenbacher, nach Nazi-Begriffen „Halbjude“, zog sich zurück, um die ideologischen Reibungspunkte zu verringern, dennoch wurde die Gesellschaft 1935 verboten. Ihre Mitglieder zeigten im Einzelnen das ganze Spektrum an Verhaltensweisen, von klarsichtigem Widerstand über stille Anpassung bis zu aktiver Mitarbeit im NS-Regime.
Fazit
Schaut man aufs Gesamtbild und auf die Ausgangsfrage nach Steiners angeblichem Antisemitismus, ergibt sich ein für manche überraschender Befund: Entgegen dem, was eine laute Gemeinde an Steiner-Gegnern suggeriert, war dieser ein geradliniger, standfester Gegner judenfeindlicher Tendenzen. Es gibt keinen Grund, jedes Wort und jeden Zungenschlag Steiners zu verteidigen, es gibt indes allen Grund, seinen intellektuell wachen, realitätsnahen Humanismus zur Kenntnis zu nehmen. Man muss schon einen beachtlichen Willen zur Verzerrung der Wahrheit aufbringen, um die Dinge in einem anderen Licht darzustellen.
Quellen
- 1„So sind dazu in seiner Bibliothek folgende Bücher aus jener Zeit erhalten: Isidor Singer, Berlin, Wien und der Antisemitismus, Wien 1882 (RSB G 821); E. Hübsch, Wer trägt die Schuld an der Antisemiten-Bewegung? Berlin, 2. Aufl. 1886 (RSG G 375); [Kerry, Benno Bertram], Die wahre Erlösung vom Antisemitismus, Leipzig 1883 (RSB T 353).“ (Martina Maria Sam: Rudolf Steiner. Kindheit und Jugend 1861 – 1884, Dornach 2018, S. 315.)
- 2Juli 1881: Rudolf Steiner – GA 38, 3. Aufl., S. 21.
- 3September 1900: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl. 3, S. 379
- 4Juli 1920: Rudolf Steiner – GA 24 Aufl. 2, S. 459 f.
- 51896: Theodor Herzl – Der Judenstaat, https://www.perlentaucher.de/buch/theodor-herzl/der-judenstaat.html
- 6Juni 1934: Victor Klemperer Tagebucheintrag. Aus: B. Biebuyck „Ich will Zeugnis ablegen, und exaktes Zeugnis“ S. 38, https://silo.tips/download/ich-will-zeugnis-ablegen-und-exaktes-zeugnis
- 71925: Rudolf Steiner – Mein Lebensgang, GA 28 Aufl. 9, S. 193
- 8„Es ist allein des Menschen würdig, daß er selbst die Wahrheit suche, daß ihn weder Erfahrung noch Offenbarung leite. Wenn das einmal durchgreifend erkannt sein wird, dann haben die Offenbarungsreligionen abgewirtschaftet. Der Mensch wird dann gar nicht mehr wollen, daß sich Gott ihm offenbare oder Segen spende. Er wird durch eigenes Denken erkennen, durch eigene Kraft sein Glück begründen wollen.“ 1887: Rudolf Steiner – GA 1 Aufl. 4, S. 125
- 9April 1888: Rudolf Steiner – GA 32 Aufl. 4, S. 170
- 10München 2011: Helmut Zander – Rudolf Steiner. Die Biografie, S. 73ff
- 11Dezember 1897: Rudolf Steiner – GA 31 Aufl. 3, S. 221
- 12Dezember 1897: Rudolf Steiner – GA 31, Aufl. 3, S. 224
- 13Februar 1898: Rudolf Steiner – „Emile Zola an die Jugend“, GA 31, Aufl. 3, S. 225